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Landkreis (Landratsamt) Tirschenreuth

Beschreibung
Tirschenreuth, am nördlichen Ende der Oberpfalz, ist mit rund 78.000 Einwohnern der kleinste Landkreis dieses Regierungsbezirks. Mit 73 Einwohnern pro qkm ist er nur dünn besiedelt. Seit Jahrzehnten schrumpft die Einwohnerzahl, weil nicht genügend breitgestreute Arbeitsplätze für die nachwachsende Generation angeboten werden können. Das liegt an der ursprünglich überwiegend auf Land- und Forstwirtschaft ausgerichteten Wirtschaft und der lange Zeit sehr zögerlichen Ansiedlung nichtlandwirtschaftlicher Betriebe infolge der Grenzlage Tirschenreuths am Eisernen Vorhang zur ehemaligen CSSR. Seit der Öffnung der Grenze zu Tschechien liegt der Landkreis mitten in Europa, als dessen geographische Mitte der Tillenberg (939 m), ein Gipfel auf der Grenze zum Nachbarstaat, angesehen wird.
Diese Mitte war zumindest seit der Jungsteinzeit dauerhaft von Menschen besiedelt. Wenn auch fast alle Funde aus der Vorzeit (z.B. bei Ruhstatt, Triebendorf, Beidl) Abfälle und zerbrochene Werkzeuge sind, ergeben sich doch verlässliche Hinweise auf die damalige Lebensweise. Die Landnahme durch die Vorfahren der heutigen Bevölkerung erfolgte überwiegend von Süden her. An der Kolonisation des sogenannten Nordgaues waren die Klöster Reichenbach am Regen (heutiger Landkreis Cham) und das Zisterzienserkloster Waldsassen (1133 gegründet) maßgeblich beteiligt sowie eine Reihe von Grafengeschlechtern wie z.B. die Falkenberger, Leuchtenberger, Liebensteiner. Am westlichen Rand des heutigen Landkreisgebietes siedelten fränkische Kolonisten, die aus dem Herrschaftsgebiet der Burggrafen von Nürnberg kamen. Das reichsunmittelbare Kloster Waldsassen versammelte im Laufe der Zeit einen so umfangreichen Landbesitz um sich, dass es zu einem eigenständigen Herrschaftsgebiet, dem "Stiftland", reichte. 1524 wurde das Ländchen von den Stiftländer Bauernunruhen erschüttert. Die klösterliche Landeshoheit endete 1571 als das Kloster im Gefolge der Reformation säkularisiert wurde. Das Stiftland wurde der Oberpfalz (Amberg) einverleibt. Im Zuge der Gegenreformation wurde das Kloster 1669 wieder errichtet, 1803 erneut säkularisiert und schließlich 1864 durch Zisterzienserinnen aus Seligenthal/Landshut noch einmal neu begründet. Im Schicksal dieses bis heute bedeutendsten kulturellen Mittelpunktes im Landkreis Tirschenreuth spiegeln sich die Religionswirren, denen die gesamte Bevölkerung im 16./17. Jahrhundert ausgesetzt war. Mehrfach mussten die Menschen ihre Konfession wechseln. Heute gehören rund 90 % der Tirschenreuther zur katholischen Kirche. Unter den Folgen religiöser Streitigkeiten hatte das Gebiet schon einmal im 15. Jahrhundert bei den Hussiteneinfällen zu leiden gehabt. Der 30-jährige Krieg brachte in der gesamten Oberpfalz und so auch im Tirschenreuther Land ungemeine Belastungen für die Bevölkerung. Die bayerischen Erbfolgekriege, die napoleonischen Kriege und der Zweite Weltkrieg verursachten abermals große Schäden an Leib und Leben, Hab und Gut.
Die Wittelsbacher fassten schon sehr früh Fuß im Landkreis als ein Leuchtenberger 1283 seine Herrschaft Waldeck an sie verkaufte. Ab dem 17. Jahrhundert gehörte den Wittelsbachern der alte Nordgau ganz. Einige Gebiete des heutigen Landkreises gehörten noch zum Hausgut der Luxemburgischen Könige von Böhmen und waren daher böhmische Kronlehen. Letzte Zeichen dafür bilden die Wallfahrtskirche St. Sebastian, die Ottengrüner Kappel, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts (Staatsvertrag mit Österreich von 1862) böhmische Enklave blieb, und der Bereich Neualbenreuth, in dem seit 1591 die gerichtliche Oberhoheit jährlich zwischen dem Kloster Waldsassen und der Stadt Eger wechselte.
Wechsel der Herrschaft war in den früheren Jahrhunderten häufiges Schicksal der Menschen, denn im Landkreisgebiet war etwas zu holen, es gehörte zum "Ruhrgebiet des Mittelalters". Im Lande vorkommendes Eisenerz wurde in zahlreichen Hammerwerken verarbeitet. Immer noch gehört Tirschenreuth zu den interessantesten Bergbaugebieten Deutschlands. Hier findet man Industriemineralien wie Kaolin, Feldspat, Pegmatitsand, Spezialtone, Talgschiefer, Eisenerz, Schwefelkies. Auch Energierohstoffe wie Braunkohle, Steinkohle und Uran wurden abgebaut. Im Gelände sind einstige Erzgruben und Kohlenmeilerstätten noch zu erkennen. Zum Schutz und zur Verwaltung dieses Reichtums gab es im Landkreis viele Burgen, Schlösser und Hammerherrensitze. Nur eine einzige Burg, Falkenberg, ist erhalten, weil sie Werner Graf von der Schulenburg (Opfer des 20. Juli 1944) im Jahre 1936 wieder aufbaute. Von den Schlössern sind Friedenfels, Thumsenreuth und Reuth bei Erbendorf erhalten. Im Mittleren Steinwald stehen noch viele Hammerwerke und Mühlen, besonders idyllisch die Haferdeckmühle zwischen Voitenthan und Friedenfels. Herrliche alte Mühlen liegen auch in den Tälern um Krummennaab.
Die bäuerlichen Gebäude, die es zu erhalten gilt, weil sie typisch und vom Aussterben bedroht sind, stammen überwiegend aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Beispiel für ein wesentlich älteres Gebäude ist das Hirtenhaus in Poppenreuth vom Ende des 30-jährigen Krieges. Neualbenreuth ist bemerkenswert wegen seiner vielen Häuser im Egerländer Fachwerkstil, in Waldeck erkennt man an dem langgezogenen Marktplatz noch die alte Ackerbürgergemeinde. Man kann im Landkreis Tirschenreuth nicht von einem einheitlichen Baustil der profanen Gebäude sprechen. Im östlichen Landkreis ist der Einfluss der Egerländer Bauweise mit ihren Fachwerkgiebeln, den Hakenhöfen und den Vierseithöfen unverkennbar. Daneben haben wir im westlichen Landkreis die Anklänge an das fränkische Hausteingebäude und im Steinwald die sogenannten Steinwaldhäuser, meistens sind das Einfirsthäuser, also Wohnen, Viehhaltung und Futtervorräte unter einem Dach. Sie sehen klein und geduckt aus.
Mit der Landwirtschaft waren in der "Steinpfalz" noch nie Reichtümer zu gewinnen. Die Böden waren zu karg und zu steinig. Der Landkreis hat Anteil an drei Mittelgebirgen: Fichtelgebirge, Steinwald, Oberpfälzer Wald und damit Anteil an Gesteinen des Erdaltertums wie Granit, Gneis, Glimmerschiefer, die keine ertragreichen Böden bilden. Im Steinwald findet sich ein Basalteruptionsgebiet mit riesigen, wildzerklüfteten Basaltbrocken. Viele Felsformationen haben dort sprechende Namen wie z.B. Steinernes Pferd oder Katzentrögl. Basalt wird auch kommerziell abgebaut. Ehemalige Vulkankegel überragen das Kemnather Land (Rauher Kulm, 682 m; Platte, 946 m; Plößberg, 820 m; Weißenstein, 863m). Zu den wenig fruchtbaren Böden gesellt sich ein raues Klima: durchschnittliche Jahrestemperatur 6,5-7 Grad C, Vegetationszeit 180-200 Tage, frostfreie Tage 140, selten mehr als 20 ausgesprochene Sommertage, Niederschläge zwischen 667 mm in Tirschenreuth und 983 mm im Fichtelgebirge. Fast die Hälfte der Gesamtwirtschaftsfläche ist von Wald bedeckt (über 50.000 ha), von der landwirtschaftlichen Nutzfläche (über 45.000 ha) ist ein Drittel Grünland. Zur Milchviehhaltung gibt es kaum eine Alternative, 22.000 Milchkühe stehen im Landkreis. Kleine und mittlere Agrarbetriebe überwiegen. 1.780 sind es noch.
Durch den Landkreis verläuft die Europäische Wasserscheide Elbe-Donau. Der Hauptfluss der Oberpfalz entspringt am Grenzgipfel Entenbühl (901 m) südlich Bärnau und fließt zunächst als Waldnaab, ab Weiden als Naab in die Donau. Ausgedehnte Teichgebiete (fast 2.500 ha Wasserfläche) mit Hunderten von Forellen- und Karpfenteichen prägen die Landschaft um Tirschenreuth. Naturschutzgebiete (Waldnaabtal und Föhrenbühl), mehrere Landschaftsschutzgebiete, drei Naturparks ("Steinwald", "Nördlicher Oberpfälzer Wald", "Fichtelgebirge") und lange Listen von Naturdenkmälern zeugen von dem Willen der Bevölkerung, sich die Naturschätze ihrer Heimat zu bewahren.
Im Landkreis Tirschenreuth gibt es mehrere Kunstdenkmäler von europäischem Rang. Dazu gehört die Basilika von Waldsassen, eine der großartigsten Barockkirchen Bayerns, ursprünglich ein romanisches Marienmünster, 1179 in Anwesenheit von Kaiser Friedrich Barbarossa eingeweiht, der großartige Bibliothekssaal des Klosters Waldsassen und die Kappelkirche, eine Wallfahrtskirche auf dem Glasberg bei Münchenreuth, der bedeutendste Rundbau des Barock, erbaut von Georg Dientzenhofer. In Wondreb ist ein seltenes bauliches Ensemble von Pfarrkirche, Pfarrhof, ummauertem Friedhof und Totentanzkapelle zu sehen. An der Decke der Kapelle ist auf 20 Feldern ein Totentanz nach Abraham a Santa Clara dargestellt. In Bärnau ist die Elisabeth-Kirche, die Steinbergkirche und die Stadtpfarrkirche sehenswert; auf dem Marktplatz steht eine Statue des Hl. Johannes von Nepomuk, viele andere Orte haben ebenfalls solche Statuen, meistens zieren sie die Brücken, 43 sollen es alles in allem sein. Hinzu kommen einige Dreifaltigkeitssäulen, so in Tirschenreuth, bei der Lodermühle oder bei Münchenreuth. Überall anzutreffen sind die "Stiftlandsäulen" mit einem Tabernakel auf einer Steinsäule und obenauf einer Kugel mit dem Kreuz. Dann haben wir noch sehr viele Steinkreuze, die meist als Sühnekreuze zu deuten sind. Schöne Dorfkirchen nennen u.a. die Orte Beidl, Leonberg, Kulmain oder Ebnath ihr eigen. Glanzpunkte der Kirchenausstattung sind die Akanthusaltäre in Thumsenreuth und in Reuth bei Erbendorf. Das Prachtstück eines spätgotischen Flügelaltars steht in der Tirschenreuther Stadtpfarrkirche. Eine typische Wallfahrtskirche zur Heiligen Dreifaltigkeit liegt hoch oben auf dem Armesberg (731 m).
Tirschenreuth ist die Heimatstadt des großen bayerischen Sprachforschers Johann Andreas Schmeller, der mit seinen bayerischen Wörterbüchern das Kulturerbe "Bayerische Sprache" bewahren half, in Brand wurde der Komponist Max Reger geboren, in Konnersreuth lebte die stigmatisierte Therese Neumann.
Das kulturelle Erbe des Landkreises wird in einem Dutzend Museen und Sammlungen bewahrt, darunter agrarisches Erbe besonders reichlich im Stiftlandmuseum Waldsassen und im Fischereimuseum Tirschenreuth. Dem Erhalt des Egerländer Kulturguts widmet sich u.a. die Plan-Weseritzer Heimatstube mit Archiv in Tirschenreuth.
Der heutige Landkreis besteht aus 26 Gemeinden, sieben Orte dürfen sich Stadt und acht Markt nennen. Die vorherrschende Siedlungsweise wird geprägt von Einöden, Weilern und kleinen Dörfern, es gibt auch einige große, geschlossene Dörfer, z.B. Groschlattengrün. Durch den heutigen Landkreis führten seit dem Mittelalter drei große Verkehrswege: Die "Goldene Straße" von der Reichsstadt Nürnberg zur "Goldenen Stadt Prag", die "Egerstraße" von Nürnberg nach Eger und die "Magdeburger Straße" von Weiden herkommend und weiter nach Hof führend. Heute erschließen die Autobahnen Regensburg-Hof und Nürnberg-Berlin den Landkreis.
Text: Prof. Dr. Joachim Ziche
Literatur
-Unser Landkreis Tirschenreuth. Eine Broschüre des Landkreises. (Hrsg. v. Landkreis Tirschenreuth.) Bamberg 1982
-Pilsak, Walter:
Wandern im Landkreis Tirschenreuth. (Hrsg. v. Landkreis Tirschenreuth.) Tirschenreuth 1984